Vertrauensarbeitszeit und Zeiterfassung

von Alexander Huber

Vertrauensarbeitszeit und Zeiterfassung

Viele Unternehmen sind überzeugt: Wer Vertrauen in seine Teams hat, braucht keine Erfassung der Arbeitszeit. Dieser Gedanke wirkt auf den ersten Blick logisch, schließlich steht „Vertrauensarbeitszeit“ für Flexibilität, Selbstbestimmung und Ergebnisorientierung. Doch seit den Entscheidungen von EuGH und BAG ist klar, dass Arbeitszeit dokumentiert werden muss, unabhängig vom Modell. Der Mythos, dass Zeiterfassung Kontrolle bedeutet, hält sich dennoch hartnäckig. Siehe dazu das EuGH-Urteil (C‑55/18) CURIA Urteilstext und die BAG-Entscheidung 1 ABR 22/21.

Aus unserer Erfahrung bei der Einführung von Zeiterfassung in Dienstleistungsunternehmen wissen wir: Vertrauen und Transparenz schließen sich nicht aus. Nein, sie bedingen sich sogar.

Dabei zeigt sich in der Praxis ein anderes Bild: Moderne Zeiterfassung kann Vertrauen sogar stärken. Sie wird nicht zum Instrument der Kontrolle, sondern zur Grundlage für Fairness, Überlastprävention und Rechtssicherheit (Vertrauen ist gut, Erfassung ist besser. Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung im Homeoffice). Viele Organisationen stehen deshalb vor derselben Frage: Wie lässt sich Vertrauensarbeitszeit leben und gleichzeitig eine rechtssichere Erfassung gewährleisten?

Genau hier beginnt die eigentliche Herausforderung. Und die Antwort lautet: Es ist nicht nur möglich, sondern notwendig. Die Frage ist nicht ob, sondern wie.

Hinweis: Dieser Beitrag stellt keine Rechtsberatung dar. Alle Informationen wurden sorgfältig recherchiert, ersetzen jedoch keine individuelle juristische Beratung. Für konkrete arbeitsrechtliche Fragen wenden Sie sich bitte an Ihre Rechtsabteilung, die Wirtschaftskammer oder eine fachkundige Anwaltskanzlei.

1. Mythos vs. Realität – was Unternehmen häufig falsch einschätzen

Der Satz „Wir haben Vertrauensarbeitszeit, deswegen brauchen wir keine Erfassung“ begegnet uns bei HR-Teams regelmäßig. Tatsächlich bedeutet Vertrauen im modernen Kontext aber nicht, dass niemand dokumentiert, wann und wie lange gearbeitet wurde.

ℹ️ Vertrauen heißt vielmehr: keine Kontrolle der Präsenz, keine Vorgaben zu starren Zeiten, keine Überwachung von Beginn und Ende.

Doch seit dem EuGH Urteil Zeiterfassung von 2019 sowie der BAG-Auslegung von 2022 müssen Unternehmen Arbeitszeit objektiv, verlässlich und zugänglich dokumentieren. Das gilt auch für flexible Modelle, Remote Work und hybride Teams. Diese rechtliche Realität schließt Vertrauensarbeitszeit nicht aus, sie definiert sie lediglich neu.

Die Debatte zeigt auch, wie wichtig ein gemeinsames Verständnis von „Vertrauen“ ist. In der modernen Arbeitswelt bedeutet Vertrauen nicht Abwesenheit von Regeln, sondern Eigenverantwortung innerhalb eines verlässlichen Rahmens – wie auch der Europäische Gerichtshof betont (Curia).

👉 Die Frage ist nicht, ob dokumentiert wird, sondern wie flexibel das Arbeitszeitmodell bleibt.

2. Was bedeutet Vertrauensarbeitszeit wirklich?

Viele Unternehmen nutzen den Begriff, ohne eine einheitliche Definition zu haben. Allgemein versteht man darunter ein Modell, bei dem der Arbeitgeber keine Kontrolle über die tägliche Arbeitsdauer ausübt. Das Ergebnis zählt, nicht die Anwesenheit. Mitarbeitende entscheiden frei, wann sie beginnen, Pausen machen oder ihren Tag strukturieren.

⚠️ Vertrauensarbeitszeit bedeutet aber nicht, dass niemand prüft, ob gesetzliche Vorgaben eingehalten werden. Ruhezeiten, Pausen, Höchstarbeitszeiten – all das bleibt bestehen. Das gilt sowohl in Deutschland (nach ArbZG) als auch in Österreich (nach AZG), sodass eine Arbeitszeitdokumentation in Österreich genauso obligatorisch ist wie in Deutschland.

Gerichte haben dies klargemacht: Dokumentation ist Pflicht, unabhängig von Kultur oder Modell.

Tipp: Vertrauensarbeitszeit ist ein Kulturprinzip, kein rechtlicher Ersatz für Zeiterfassung.

3. Vereinbarkeit mit EuGH und BAG: warum beide Modelle zusammengehören

Das EuGH-Urteil von 2019 („Stechuhr-Urteil“) stellte eindeutig fest, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, Arbeitszeit zu erfassen. Die Entscheidung des BAG von 2022 folgte derselben Linie: Unternehmen müssen ein System bereitstellen, das eine systematische Erfassung ermöglicht.

Viele Führungskräfte befürchten daher, Vertrauensarbeitszeit sei nicht mehr möglich. Doch diese Annahme ist falsch. Die Gerichte greifen nicht in die Kultur ein, sie verlangen lediglich, dass Arbeitszeit transparent dokumentiert wird.

Der entscheidende Punkt: Vertrauen bedeutet, nicht wie oder wann gearbeitet wird zu kontrollieren. Zeiterfassung bedeutet, was gearbeitet wurde rechtssicher zu dokumentieren. Beides kann koexistieren.

Wir sehen bei unseren Kunden, dass eine transparente Erfassung nicht nur rechtlich hilft, sondern auch ein wichtiger Hebel für bessere Teamführung ist etwa, um Burnout-Risiken frühzeitig zu erkennen.

Tipp: Zeigen Sie Teams klar auf, dass Erfassung rechtlich notwendig, aber kein Kontrollmechanismus ist.

4. Vorteile & Herausforderungen der Vertrauensarbeitszeit

Vertrauensarbeitszeit schafft Freiraum: flexibles Arbeiten, weniger Mikromanagement, individuelle Zeitgestaltung. Das steigert Motivation und Arbeitgeberattraktivität. Gleichzeitig entstehen neue Risiken und genau diese werden häufig unterschätzt.

Zu den größten Vorteilen zählen Selbstbestimmung, höhere Zufriedenheit und die Möglichkeit, Leistungsphasen besser zu nutzen. Auf der anderen Seite stehen Herausforderungen wie potenzielle Überlastung, unsichtbare Überstunden oder verwischende Grenzen zwischen Beruf und Freizeit.

Gerade ohne transparente Arbeitszeiterfassungerfassung besteht das Risiko, dass niemand merkt, wenn Mitarbeitende regelmäßig zu viel arbeiten. Hier schützt Transparenz nicht den Arbeitgeber, sondern die Mitarbeitenden.

Studien zeigen, dass Mitarbeitende in Vertrauensmodellen oft mehr arbeiten als gesetzlich erlaubt, besonders in hybriden oder Remote-Settings (BAuA).

Tipp: Stellen Sie klar: Dokumentation ist auch Schutz vor Selbstausbeutung.

5. Warum die klassische Stechuhr nicht mehr zeitgemäß ist

Die traditionelle Stechuhr entstand in einer Welt, in der Arbeitszeit physische Präsenz bedeutete. Heute arbeiten Teams hybrid, remote und projektorientiert. Präsenz sagt kaum noch etwas über Leistung aus. Für viele Modelle ist Ein- und Ausstempeln schlicht unpraktisch und symbolisch negativ belegt.

Stattdessen sollten moderne Systeme auf Kontext setzen – wie etwa Projektkontext, Fokuszeiten oder die Möglichkeit, retrospektiv zu erfassen.

Einen alternativen Ansatz zur Stechuhr liefert der Activity Tracker von time cockpit. Im Gegensatz zur klassischen Stechuhr erfasst der Activity Tracker bei time cockpit digitale Arbeitsaktivitäten automatisch und lokal – ganz ohne Präsenzkontrolle, dafür mit Fokus auf Kontext und Nutzerautonomie. → So funktioniert Activity Tracking bei time cockpit

Tipp: Ersetzen Sie das mentale Bild der Stechuhr durch ein Bild moderner Datenerfassung.

6. Wie sich Zeiterfassung und Vertrauensarbeitszeit kombinieren lassen

Viele Unternehmen merken schnell, dass es keinen Widerspruch gibt. Mitarbeitende behalten volle Autonomie darüber, wann sie arbeiten. Die Erfassung dient ausschließlich der Transparenz, nicht der Überwachung. Sie hilft, rechtliche Vorgaben einzuhalten, ermöglicht fairere Lastverteilung und schützt vor Überlastung. Führungsteams können dadurch Muster erkennen, die ohne Daten unsichtbar bleiben. Dazu gehört z. B., wenn bestimmte Teams über Wochen hohe Spitzen haben oder wenn Überstunden still anwachsen. Transparenz ermöglicht bessere Entscheidungen, ohne den Freiheitsgrad zu verringern.

💡 Besonders in Projektorganisationen haben wir erlebt, dass eine saubere Projektzeiterfassung hilft, strategische Entscheidungen datenbasiert zu treffen, z. B. zur Kapazitätsplanung oder beim Staffing. → Wichtige Unternehmenskennzahlen der Projektzeiterfassung

Zudem stärkt ein modernes Modell für selbstbestimmte Zeiterfassung die Gerechtigkeit im Team: Alle arbeiten flexibel und alle haben dieselbe Grundlage für faire Arbeitsverteilung.

Tipp: Kommunizieren Sie klar, warum Erfassung kein Eingriff in Autonomie ist.

7. Technik, die Vertrauen stärkt

Time cockpit setzt nicht auf starre Präsenzlogiken, sondern auf flexible Erfassungskonzepte. Besonders relevant für Vertrauensarbeitszeit: das Activity Tracking. Es erkennt, an welchen digitalen Aktivitäten gearbeitet wurde – ohne Überwachung, rein lokal und nur für die Mitarbeitenden sichtbar. Das erleichtert retrospektive Zeiterfassung und reduziert den mentalen Aufwand bzw. unnötiuge Aufgabenwechsel. Darüber hinaus lässt sich time cockpit an Modelle wie Gleitzeit, Projektzeit oder Vertrauensarbeitszeit anpassen.

Diese Flexibilität hilft Unternehmen, Prozesse zu gestalten, ohne ihre Kultur zu verändern.

Bei time cockpit haben wir die Erfahrung gemacht, dass gerade kleinere Unternehmen von dieser Flexibilität profitieren weil sie selten eine „One Size Fits All“-Lösung brauchen. → Anpassbare Zeiterfassung in time cockpit

Tipp: Setzen Sie auf Systeme, die Kultur stützen statt Regeln diktieren.

⚠️ Vertrauensarbeitszeit und Zuschläge – ein Beispiel aus dem IT-KV in Österreich

Vertrauensarbeitszeit klingt nach maximaler Flexibilität, doch genau hier zeigt sich eine rechtliche Stolperfalle: Im österreichischen IT-Kollektivvertrag (IT-KV) ist zum Beispiel geregelt, dass Arbeitszeiten vor 06:00 Uhr und nach 20:00 Uhr zuschlagspflichtig sind. Das gilt unabhängig davon, ob Mitarbeitende freiwillig zu diesen Zeiten arbeiten oder nicht. Konkret bedeutet das:

  • Für Tätigkeiten außerhalb des Zeitfensters von 06:00–20:00 Uhr fallen Zuschläge oder Überstunden an.
  • Auch bei Vertrauensarbeitszeit sind diese Regelungen bindend. Das Unternehmen muss also dokumentieren können, wann gearbeitet wurde.

Das bringt Unternehmen in eine Zwickmühle: Ohne verlässliche Zeiterfassung ist es schwer, potenzielle Zuschläge korrekt zu berechnen. Und selbst wenn Mitarbeitende ihre Arbeitszeit frei einteilen, etwa im Homeoffice oder bei asynchronen Projekten, haftet das Unternehmen für die Einhaltung dieser Pflichten.

💡 Wer Vertrauensarbeitszeit ermöglichen will, braucht eine rechtssichere Zeiterfassung, die Arbeitszeiten im Detail abbildet und das nicht nur aus Compliance-Gründen, sondern auch um Nachzahlungen oder arbeitsrechtliche Risiken zu vermeiden.

Quelle: IT-KV 2025, § 4 Abs. 1

Fazit: Kein Widerspruch, sondern ein modernes Arbeitsmodell

Vertrauensarbeitszeit und Zeiterfassung schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Sie ergänzen sich. Transparenz schützt Mitarbeitende, sorgt für Rechtssicherheit und unterstützt Organisationen dabei, Arbeitslast fair zu verteilen. Moderne Tools ermöglichen flexible Erfassung, ohne in alte Kontrollmuster zurückzufallen.

Zeiterfassung ist nicht nur Pflicht, sie kann auch strategischer Vorteil sein, z.B. im Recruiting („Wir dokumentieren transparent“) oder in der Kundenkommunikation („Wir zeigen genau, wofür Zeit eingesetzt wurde“).

👉 Denken Sie Vertrauensarbeitszeit nicht als Gegenpol zur Erfassung, sondern als Kulturprinzip mit klarer Struktur.